Über Dampf-Selbstfahrer
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts musste in den deutschen Ländern eine grundlegende verkehrspolitische Entscheidung gefällt werden. Zur Bewältigung des steigenden Landverkehrs gab es die Alternativen „Landverkehr mit Selbstfahrern auf künstlichen Bahnen“ oder „Landverkehr mit Selbstfahrern auf Chausseen“. Beides mit Dampfkraft. Die Vertreter beider Lager hatten einflussreiche Befürworter in Politik und Wirtschaft. Die Kontrahenten standen sich unversöhnlich gegenüber und das Ringen um den rechten Weg dauerte fast 10 Jahre.
Historie
Sieg der Eisenbahn für den Güterverkehr
Letztendlich flossen die großen finanziellen Mittel in den Ausbau eines Netzes „künstlicher Bahnen“, wobei sich die eisernen Profile durchsetzten. Allerdings dauerte die Entwicklung haltbarer Schienen seine Zeit und auch an geeigneten Schienenprofilen hat man lange gearbeitet. Bei den eisernen Schienen war der „Rollwiderstand“ um den Faktor 10 (und mehr) niedriger als der Widerstand auf den besten Straßen. Entsprechend größer war die Transportkapazität. Später bezeichnete man das System als „Eisenbahn“. Bei diesem System lagen auch die ersten positiven Erfahrungen aus England vor. Die Entscheidung war unter Berücksichtigung der zu erwartenden Gütermengen sicherlich richtig. Die Eisenbahn wurde zum Motor der Industrialisierung.
Landverkehr braucht Straßennetz
Trotzdem wurde die Entwicklung von „Selbstfahrern auf Chausseen“ nicht aufgegeben. Landverkehr mit diesen Fahrzeugen setzt geeignete Verkehrswege voraus. Der Zustand der Überlandstraßen, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, war in weiten Teilen unseres Landes katastrophal. In den Städten war die Situation nicht viel besser. Die Entscheidung für die „eisernen Bahnen“ führte zwangsläufig dazu, dass für den Ausbau der Überlandstraßen jahrzehntelang kaum finanzielle Mittel vorhanden waren.
Das änderte sich erst allmählich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Trotzdem dominierte beim „Landverkehr auf Chausseen“, insbesondere beim Transport von Gütern, bis Anfang des 20. Jahrhunderts der Verkehr mit Fuhrwerken. Die Verbreitung der „Selbstfahrer auf Chausseen“ war gering. Die großen Hersteller, die schon Erfahrungen mit dem Bau von Eisenbahnen gesammelt hatten, gingen nur zögerlich an die Fabrikation der Chaussee-Dampfwagen heran. Es dominierte, mit wenigen Ausnahmen, die Herstellung einzelner Maschinen. Auch eine Reihe kleiner Unternehmen versuchte sich auf diesem neuen Gebiet. Meist ohne dauerhaften Erfolg. Es gab eine Reihe technischer Gründe für die geringe Verbreitung.
Probleme der Dampf-Fahrzeuge
Am Anfang war das Leistungsgewicht der Maschinen extrem ungünstig. Sie waren selbst auf den besten Verkehrswegen kaum einsetzbar, es gab Probleme mit der Sicherheit und Zuverlässigkeit und der Betrieb war unwirtschaftlich. Rechtliche Restriktionen machten die Nutzung auf öffentlichen Straßen schwierig. Der Betrieb der „beweglichen Dampfkessel“ war mit behördlichen Auflagen und regelmäßigen Prüfungen verbunden und letztendlich sahen die traditionellen Fuhrunternehmer in den neuen Wagen eine Konkurrenz, die es mit allen Mitteln zu verhindern galt.
Ein neuer Name: Selbstfahrwesen
Für selbstfahrende Wagen, die amLandverkehr teilnehmen konnten, hat man am Anfang eine Vielzahl an Bezeichnungen verwendet. Je nach Ausführung nannte man sie Chaussee-Dampfwagen, Dampf-Fuhrwerk, Dampf-Frachtwagen, Straßenlokomotiven, Zuglokomotiven, Dampfschlepper, Dampfkutschen u.a.m. Ein zusammenfassender Begriff für diese unterschiedlichen Fahrzeugarten entstand erst in den 1830er Jahren, die Bezeichnung „Dampfselbstfahrer (oder Dampf-Selbstfahrer)“ setzte sich allmählich durch. Den Verkehr mit diesen neuartigen Wagen nannte man das Selbstfahrwesen.
Die historische Bezeichnung „Dampf-Selbstfahrer“ wird hier übernommen, da sie den Charakter der Fahrzeuge gut wiedergibt. Erwähnenswert ist, dass sich in den Ordnungssystemen der historischen Literatur und Patente jener Zeit das Gebiet der Dampf-Selbstfahrer nicht findet. Man hat sie unter dem Oberbegriff „Eisenbahn“ geführt.
Dampf-Selbstfahrer auf kurzen und mittleren Strecken im Vorteil
Wenn es nicht die Anzahl der im Landverkehr eingesetzten Fahrzeuge war, was macht dann die Bedeutung der „Dampf-Selbstfahrer“ aus heutiger Sicht aus? Um das zu verstehen, man muss sich in die Zeit zurückversetzen. Die Eisenbahn war bei langen Strecken im Güter- und Personenverkehr unschlagbar. Das Problem war die Bewältigung mittlerer und kleinerer Distanzen. Während die Beförderung von Personen mit Kutschen bei dem geringen Aufkommen noch möglich war, gab es beim Gütertransport immense Probleme. Man muss sich vor Augen halten, dass beispielsweise ein Schwerlastfuhrwerk am Tag nur 10, unter guten Bedingungen bis 30 km, zurücklegen konnte. Eingesetzt wurden bis zu 20 Zugtiere, in Grenzfällen bis zu 60. Begleitet wurde der Zug von einer ganzen Mannschaft aus Zugführern, Knechten und Handwerkern. Ein Transport konnte Wochen dauern. Die Dampfkraft war die einzige verfügbare Antriebskraft.
Pioniere moderner Fahrzeugtechnik
Verbesserte Straßen und eine Leistungssteigerung bei den Dampfmaschinen, verbunden mit einer Gewichtsreduzierung, führten nach und nach dazu, dass der Einsatz von Dampfselbstfahrer wirtschaftlich wurde. Die Faszination dieser frühen Phasen des Selbstfahrwesens liegt in der heute kaum vorstellbaren Dynamik und Vielfalt der Entwicklung von selbstfahrenden Wagen aller Art. Das ist typisch für alle innovativen Phasen technischer Entwicklungen. Es gab keine Vorbilder und Grenzen. Traditionelle Bauweisen wurden aufgegriffen und an die neue Technik angepasst, aus anderen Gebieten wurden Transportkonzepte übernommen, völlig neuartige Fahrzeuge entstanden aus den technischen Möglichkeiten des Dampfantriebs oder man ersetzte einfach den traditionellen Pferdevorspann durch eine Zugmaschine. In dieser Phase wurden die Weichen für das gestellt, was man heute als Fahrzeugtechnik bezeichnet. Von der Vielfalt an Fahrzeugkonzepten ist das Meiste verschwunden. Bei der Darstellung der chronologischen Entwicklung der Dampf-Selbstfahrer können vier Phasen unterschieden werden:
Zusätzliche Strukturierung nach technischen Aspekten
Neben dieser chronologischen Strukturierung ist eine nach technischen Aspekten notwendig. Dadurch wird erst die Vielfalt und Breite der Entwicklung bei Selbstfahrern deutlich. Man muss sich dabei von dem lösen, was aus diesen Anfängen an Fahrzeugarten in unserer Zeit übrig geblieben ist. In der rückwärtigen Schau muss das gesamte „Selbstfahrwesen“ betrachtet werden und in einer Analyse mit Hilfe differenzierender Merkmale und Eigenschaften versucht werden, Fahrzeugkategorien für Gruppen von Selbstfahrern zu identifizieren, die ähnliche Merkmalausprägungen besitzen. Für den deutschsprachigen Raum wurden bisher über 20 unterschiedliche Fahrzeugkategorien identifiziert. Die meisten existieren heute nicht mehr. Diese Kategorien mit einigen typischen Beispielen werden im Folgenden in Stichworten aufgeführt.